Die Frage, was wir gegen das Artensterben tun könne, sollte m.E. anders formuliert werden: Was wollen wir für den Artenerhalt tun? Diese Frage weist auch bereits auf eine mögliche Lösung hin: Wir sollten endlich das Jonglieren mit leeren Worthülsen lassen, abstrakte Begriffe konkretisieren, uns klar vor Augen führen (visualisieren!), wovon wir sprechen.
Dann wird die Frage „Was können wir für die Sicherung der Artenvielfalt tun?“ zur logischen Fortsetzung zugrundeliegender Fragen, die beantwortet sein wollen: Vor allem auch deswegen, weil die individuelle Antwort auf die sich jedem subliminal stellende Frage bestimmt, was wir tun – oder eben auch nicht. Und aus meiner Perspektive ist es immer besser, aktiv über Fragen nachzudenken und sie sich zu beantworten, als sich unbemerkt von einem vagen unbewussten „Gefühl“ leiten zu lassen. (Libets Experimente sagen nicht über die Freiheit oder Determination des Willens sondern nur etwas über motorische Handlungsimpulse aus!)
Es geht mir also um folgende Fragen: Warum sollen und wollen wir Artenvielfalt sichern? Was verstehen wir denn überhaupt darunter? Welche Bilder entstehen vor unserem geistigen Auge, wenn wir den Begriff „Artenvielfalt“ hören? „Artenvielfalt“ ist ein abstrakter Kategorien-Terminus, dessen Repräsentanten sich bei jedem Menschen anders darstellen: Entsteht nicht da bei einigen auch eine negative Assoziationskette, kombiniert mit einem kindlich-kindisch-narzisstischen Denken in Richtung „Auf Mücken könnte ich gut verzichten, die sind eh zu nichts gut!“?
Kürzlich habe ich mich gewundert, was männliche Mücken fressen – dass nur die weiblichen Insekten im Rahmen der Fortpflanzung Blut benötigen, ist ausreichend bekannt. (Blut versorgt die Mücken mit ausreichend Proteinen und Nährstoffen, um Eier zu produzieren), Im Zuge meiner Recherche erfuhr ich, dass Mücken sich eben auch von Blütenpollen ernähren – und damit gleichzeitig Pflanzen bestäuben (ja, das hoch gepriesene Bienenprinzip! Und Bienen sind ja durch all die Kampagnen zur Verhinderung des fortschreitenden Bienensterbens hinreichend rehabilitiert! Mücken sind in diesem Sinne also auch Nutztiere! ;-) ). Gleichzeitig wurde mir bewusst, dass auch ich mich in einem nicht hinterfragten funktionalistischen Denken bewege – weshalb muss denn stets alles für irgendetwas nützlich sein? Darf nicht auch etwas einfach sein?
Was bedeutet uns die Buntheit der Welt, die sich auch im Reichtum an Lebewesen zeigt?
Wir sollten die typische funktionale Argumentation in Richtung „Bienen sind nützlich.“ „Das Ökosystem der Erde ist gefährdet, wenn Arten sterben“ etc. unbedingt erweitern – wir sollten endlich aufhören, mit abstrakten Begriffen und Konzepten zu spielen, hin zu einer fast kindlich-naiven-aufrichtigen Rückbesinnung, die einer hypnotherapeutischen Intervention gleicht: „Welche Tiere magst du? Warum? Was ist dein Lieblingstier? Warum? Welche Tiere magst du nicht? Warum? Wo und unter welchen Voraussetzungen bist du einem Nicht-Lieblingstier mal begegnet? Was hast du dort, was hat das Tier dort gewollt?“ Ja, es klingt trivial – und ist dennoch so essentiell. Denn so können wir doch wieder in Bezug treten zu dem, was uns umgibt, was unsere Welt ausmacht. Wir wollen weg davon zu generalisieren, wir wollen individualisieren, der Natur erneut ein Gesicht verleihen. Ein Gesicht, das wir betrachten, ein Gesicht, das auf uns zurückblickt.
Wenn wir uns weiter im Reich der Begrifflichkeiten bewegen, ohne sie zu begreifen, rutschen wir weiter und weiter in schale Ideologien ab . Wir halten Fahnen hoch und propagandieren. Und verlieren den Bezug dazu, worum es uns doch ursprünglich ging: die Lebendigkeit unserer Welt, deren Teil wir sind.
MF