1 Minuten Lesezeit
26 May
26May

Mit dem Begriff der Tiefenzeit sollen die für menschliches Denken eigentlich unvorstellbar langen Zeiträume der geologischen Vergangenheit beschrieben werden. 

Millionen und Milliarden von Jahren; das sind die zeitlichen Dimensionen, in denen sich die Erde entwickelt hat. Auch lange evolutionäre Prozesse der Artentwicklung finden dabei statt. Arten, die in unserem geologischen Zeitalter, dem Anthropozän, aussterben. Massensterben gab es auch in der langen Erdgeschichte und unsere Kenntnisse darüber beruhen inzwischen auf dem Einsatz von sehr viel Technologie, um den Gesteinen die Geheimnisse zu entlocken. Dabei zeigt sich klar, dass das aktuelle Massenaussterben vor allem durch die Zerstörung von Habitaten durch uns Menschen verursacht wird und daher nicht mit den vorherigen Ereignissen vergleichbar ist. 

Doch das Gewahrwerden der Tiefenzeit kann Demut lehren, Demut gegenüber einer gewaltigen Natur, die wir in unvorstellbar kurzer Zeit zerstören. Gleichzeitig kann es ein Bewusstsein für das Verhältnis und die Gültigkeitsbereiche von Wissenschaft und Religion schaffen. 

Wenn man jungpaläolithische Funde, wie etwa den ca. 30cm hohen Löwenmensch vom Hohlenstein-Stadel im Lonetal als Ausdruck einer religiösen Praxis betrachtet und dagegenstellt, dass die moderne Naturwissenschaft erst im 19. Jahrhundert wirklich Verbreitung fand, finden sich hier schon unterschiedliche zeitliche Dimensionen, die sich vor dem Hintergrund der Tiefenzeit nochmals relativieren. 

Und welche Triebkräfte haben die Wirkmächtigkeit auch in 40 000 Jahren noch auf Menschen zu wirken? Wäre es, um der ökologischen Krise beizukommen, nicht zielführender, stärker auf die stärkeren Kräfte zu setzen? Denn wissenschaftliches Faktenwissen erweist sich seit Jahrzehnten als wirkarm und doch verweist die engagierte Naturwissenschaft seit Dekaden darauf, dass es schon „5 vor 12“ ist, wenn wir die Erde „retten“ wollen. Manche Uhr scheint hier stehen geblieben zu sein und auch in 50 Jahren wird es „5 vor 12“ sein. 

Wäre es vielleicht interessanter, die zeitliche Dimension zu weiten und ein Narrativ für eine fernere Zukunft zu entwickeln? Kann man den Menschen mit seinen Bedürfnissen im Hier und Jetzt auf eine Expedition in die ferne Zukunft mitnehmen? 

Nun, bezüglich eines Standortes hochradioaktiver Abfälle schreibt der Gesetzgeber in Deutschland von einer bestmöglichen „Sicherheit für den dauerhaften Schutz von Mensch und Umwelt vor […] Strahlung […] für einen Zeitraum von einer Million Jahren.“ 

Welche Menschen und welche Umwelt will der Gesetzgeber in diesem langem Zeitraum schützen? Zeit heilt alle Wunden? Oder eher: Kommt Zeit kommt Rat? 

Denn wie entwickeln sich Mensch und Umwelt in diesem Zeitraum über Jahrhunderte und Jahrhunderttausende? Wenn es in diesem Szenario nur ein Endlager gibt und keine Vorstellung darüber hinaus, über die Entwicklung von Mensch, Technologie und Mitwelt, ist das zu wenig. Wir brauchen sicherlich eine detailliertere Vorstellung von einer fernen Zukunft, um schlagkräftige Argumente und auch Gefühle für den Schutz globaler Ökosysteme zu entwickeln und wachsen zu lassen. 

JR

Kommentare
* Die E-Mail-Adresse wird nicht auf der Website veröffentlicht.