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19 Nov
19Nov

Was in der Philosophie schon lange immer ein relevantes Thema ist, hat sich inzwischen auch in der zeitgemäßen Psychotherapie etabliert: Naturbegegnungen können heilsame Erfahrungen für uns Menschen sein.
In der Philosophie haben zahlreiche großartige Denker wie z.B. Arthur Schopenhauer (* 22. Februar 1788 in Danzig; † 21. September 1860 in Frankfurt am Main) Naturbegegnungen als transzendentes Erlebnis aufgefasst, als Möglichkeit, sich als Mensch quasi zu überwinden. Dabei wird der Natur als solches ein ungleich höherer Stellenwert zugeschrieben als wir das in unserer heutigen Instrumentalisierung und Zweckentfremdung der Natur häufig tun. Nach Schopenhauer zeigt sich in der Natur die Urkraft des Seins: "[…] dass die wirkende Urkraft, die natura naturans [schaffende Natur], in jedem ihrer zahllosen Werke ganz und ungeteilt unmittelbar gegenwärtig ist, woraus folgt, dass sie, als solche und an sich, von Raum und Zeit nichts weiß." (Die Welt als Wille und Vorstellung, §. 67.) Im Beschreiben des Wirkens und Seins der Natur wirkt Schopenhauer in seiner Metaphysik beinahe mystisch. Das innerste Wesen der Natur nannte Schopenhauer Urkraft – oder Wille. (Für die, die es genauer wissen wollen: In seinem Manuskriptbuch führt er diese Benennung genauer aus und bezieht sich auch auf die (altindischen) Upanishaden und Brahma, die treibende Schöpfungskraft (vgl. Cogita II, S. 391)

Doch auch andere Philosophen, die maßgeblich die Entwicklung der humanistischen Psychotherapie beeinflussten, erlauben Naturerlebnisse transzendente Momente – oder welche, die erst überhaupt die Grundlage zur Transzendenz ermöglichen, nämlich die Konstitution eines Ichs.  Nach Martin Buber (* 8.2.1878 Wien † 13.6.1965)  manifestiert sich das Leben eines Menschen in zwei unterschiedlichen Beziehungen: Ich-Es und Ich-Du-Beziehungen. Die sogenannte Es-Welt bezeichnet dabei die erfahrbare Welt, die Welt der Dinge, an der der Mensch keinen Anteil hat. Eine Ich-Du-Beziehung meint dabei immer eine wirkliche Begegnung. In seinem Hauptwerk „Ich und Du“ in seinem dialogischen Prinzip geht Buber soweit, dass er Ich-Du und Ich-Es als Grundworte bezeichnet (nicht allein sprachlich gemeint und doch auch in der Sprache ausdrückbar!). 

 In diesem Erleben der Grundworte manifestiert sich das Ich des Menschen stets erneut: ein isoliertes Ich, jedes Grundworts beraubt, gibt es nicht.  Das dialogische Prinzip ist dabei eine Haltung, mit der der Einzelne der Wirklichkeit gegenübertritt – und damit auch sein Ich erschafft.  Wirkliche Beziehung als Grundwort Ich-Du zeigt sich in drei Sphären: im Verhältnis zwischen Mensch und Natur, zwischen Menschen untereinander und hinsichtlich der sogenannten „geistigen Wesenheiten“.  In echten Begegnungen mit der Natur sind untersprachliche Beziehungen möglich: Es geht um ein ganzheitliches Erfassen, kein Erfahren, des anderen (der Pflanze, des Tiers). In diesem Ich-Du entsteht das Ich.


In unserer heutigen Welt, in der leibhaftige Begegnungen oftmals virtuellen weichen, in denen wir uns selbst in digitale Bubbles zurückziehen und solipsistische Bahnen ziehen, zerrinnt uns unser Ich immer mehr zwischen den tippenden Fingern: Woran halten wir uns fest, was gibt uns Halt, was sieht uns wirklich an?
Es lässt sich einfach überprüfen: Wenn wir hinaus gehen, in den Wald, an den Fluss, auf ein Feld – und dort verweilen, wirklich weilen, die Welt in uns strömen lassen, bis sie uns ganz erfüllt, bis wir die atmosphärische Dichte der Verwobenheit alles Seienden erahnen, bis wir, nicht mehr der Sprache bedürftig, gänzlich Teil von und damit Eins mit Allem sind. Das ist die Kraft der Natur, das schafft unser Sein.

 
Klingt mystisch – ist aber so ;-) Geht raus, erfahrt es!

MF

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