In Deutschland gibt es seit einiger Zeit eine neue Form des Naturschutzes: der Nationalerbe-Status für besonders alte und wertvolle Bäume. Dieses Programm wurde ins Leben gerufen, um Bäume, die das Potenzial haben, mehrere Jahrhunderte alt zu werden, unter besonderen Schutz zu stellen. Die Liste der Nationalerbe-Bäume ist begrenzt und umfasst derzeit nur 43 Bäume. Jüngstes Beispiel ist eine 450 Jahre alte Edelkastanie in Aachen, die im Oktober 2024 den Nationalerbe-Status erhält. Doch ist dieser Status wirklich notwendig oder nur eine weitere deutsche Eigenart?
Die Idee zu diesem Programm stammt von Andreas Roloff, einem führenden deutschen Dendrologen. Bei Reisen nach England fiel ihm auf, dass es dort deutlich mehr uralte Bäume gibt als in Deutschland. Die Ursachen dafür, so Roloff, liegen in der strengen deutschen Verkehrssicherungspflicht. Hierzulande werden Bäume oft aus Sicherheitsgründen stark zurückgeschnitten, was ihre Lebensdauer verkürzt. In England hingegen werden Bäume weitgehend sich selbst überlassen, wodurch sie oft ein biblisches Alter erreichen.Ein zentraler Aspekt des Programms ist die Pflege und Unterstützung der Eigentümer. Denn die Pflege solcher Baumriesen erfordert besondere Expertise und finanzielle Mittel. Das Nationalerbe-Siegel soll sicherstellen, dass diese Bäume nicht nur überleben, sondern in ihrer vollen Pracht erhalten bleiben.
Die Nationalerbe-Bäume tragen maßgeblich zur Verbesserung der Luftqualität bei. Nach Roloff kann ein solcher Baum mit seiner Blattmasse so viel CO₂ binden, wie es 400 neu gepflanzte Jungbäume könnten. Neben dem ökologischen Nutzen haben viele dieser Bäume auch eine wichtige historische oder kulturelle Bedeutung. So diente beispielsweise die Fem-Eiche in Erle, Nordrhein-Westfalen, über Jahrhunderte als Gerichtsbaum und symbolisiert damit ein Stück regionaler Geschichte.
Trotz der klaren Vorteile gibt es auch Kritik. Einige sehen in dem Nationalerbe-Status eine überflüssige zusätzliche Klassifizierung, die der deutschen Vorliebe für Ordnung und Siegel entspringt. Andere wiederum weisen darauf hin, dass die Zahl der in Frage kommenden Bäume begrenzt ist und viele dieser Bäume bereits unter regionalem Naturschutz stehen.Darüber hinaus bleibt unklar, ob dieser Status tatsächlich den gewünschten langfristigen Schutz bietet. Bäume sind lebendige Organismen, deren Lebensdauer stark von äußeren Faktoren abhängt. Die Verkehrssicherungspflicht bleibt eine Herausforderung, da ein herabfallender Ast nach wie vor als potenzielle Gefahr gilt. Und in Deutschland geht Sicherheit nach wie vor vor Umwelt- und Mitweltschutz. Auch, wenn sich das Risiko im Promille-Bereich bewegt.
Der Nationalerbe-Status für Bäume ist mehr als nur ein weiterer bürokratischer Stempel. Er lenkt Aufmerksamkeit auf den Wert und die Bedeutung alter Bäume in Deutschland, sowohl für das Ökosystem als auch für das kulturelle Erbe. Ob er jedoch langfristig ausreichend Schutz bietet und ob die strengen deutschen Sicherheitsanforderungen angepasst werden, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch, dass der Schutz dieser Baumriesen nicht nur eine Frage der Ästhetik ist, sondern auch eine Investition in die ökologische Zukunft Deutschlands darstellt.
MF