Innerhalb der Klimaforschung wurde seit einigen Jahren die Idee eines globalen Kohlenstoff-Budgets entwickelt, das wir, um ein bestimmtes politisches „Klimaziel“ zu erreichen, beispielsweise eine Erhöhung der globalen Mitteltemperatur auf 1,5°C oder gar 2°C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, noch aufbrauchen dürfen.
Es ist ein buchhalterisches Denken, das in einer christlichen Tradition verdeutlicht, dass wir schon als „Klimasünder“ auf die Welt kommen. Sobald wir auf der Welt sind, emittieren wir durch unser Leben Treibhausgase. Das zählende Denken der modernen Naturwissenschaft ergänzt diesen Traditionsstrang, in welchem gleichwohl der Klimaerlöser fehlt.
Wie könnte diese Fehlstelle ersetzt werden?
Eine Re-Sakralisierung der Natur, um durch eine weihevolle Naturbegegnung, Wertschätzung und Engagement für die Natur einzutreten, zu stärken? Wenn wir die neuzeitliche Entsubjektivierung der Natur überwinden können, erkennen wir uns wieder als ein Teil dessen, welches zu schützen unser innerstes Anliegen sein muss. Doch die Frage nach dem „Klimaerlöser“ bleibt auch damit unbeantwortet.
Zurück zum Thema:
Bei allen Unsicherheiten im Prozessverständnis und der Modellierung, werden durch den Budgetansatz Entscheidungsträgern mögliche Entwicklungspfade aufgezeigt, um „Klimaschäden“ zu minimieren. Dies unterstreicht die Bedeutung des Budget-Ansatzes als Instrument der Politikberatung.
Der Weltklimarat, IPCC 2022, benennt die Zahlen: um mit 50% Wahrscheinlichkeit unter 1,5°C zu bleiben, verbleibt ein Restbudget, das es erlaubt rund 500 Milliarden Tonnen CO₂ auszustoßen, denn es gilt dabei die historischen Emissionen einzupreisen, da CO2 recht lange in der Atmosphäre verbleibt. Bis zum Jahr 2020 hat die Menschheit schon 2400 Milliarden Tonnen ausgestoßen (+/-10%). Aktuell werden pro Jahr weltweit rund 40 Milliarden Tonnen CO₂ emittiert. Damit ist dieses Budget in etwa 10 Jahren aufgebraucht.
Und es ist völlig klar, dass
1. das genannte „Klimaziel“ verfehlt werden wird und
2. die Apokalypse trotzdem ausbleibt.
Wenn die engagierte Klimaforschung am Beispiel des renommierten Klimaforschers Prof. Rahmstorf jedoch davon schreibt: “die Natur bestraft ein Überziehen des Budgets unerbittlich mit Katastrophen und menschlichem Leid“
ist das eine abenteuerliche Überschreitung der Fachexpertise.
Natur ist moralisch indifferent und Natur bilanziert schon mal überhaupt nicht. Oder wer wäre Akteur einer solchen Bilanzierung? Katastrophen gibt es für Menschen, nicht für die Natur.
Das verzweifelte Rufen einer engagierten Wissenschaft verhallt im ökologischen Diskurs seit vielen Dekaden im Bannkreis der Selbstdarstellung – die Wirkarmut dieses Engagements will nicht reflektiert werden.
Doch mit Hegel wissen wir: „die Eule der Minerva beginnt erst mit der einbrechenden Dämmerung ihren Flug“. Der Jahrzehnte lange ökologische Diskurs hat längst die Dämmerung erreicht, welche eigentlich zu neuen Erkenntnissen und Weisheit hätte führen können.
Doch dazu wäre Demut und ein Bewusstseinswandel nötig. Doch Wissenschaft, die den Kreis enger Fachexpertise und Wertneutralität verlässt, macht sich ohne Not angreifbar; der Sache dienlich ist dies selten.
Aber kann Demut in der Wissenschaft einem fundamental quantitativen Denken kongruent sein? Schwerlich, da jene als Negativbilanz buchhalterisch zu fixieren wäre.
https://www.blognatur.com/majos-blog/ipcc-die-sechste
Das Vermischen von quantitativem Denken und moralisierenden ist insofern nicht zielführend, weil es die qualitative Dimension des Individuums übergeht. In einem Budgetdenken ist mein CO2-Beitrag innerhalb eines 500 Milliarden Tonnen CO₂-Budgets ein Rauschen, das selbst mit ausgefeilter Statistik sich nicht gegenüber den Unsicherheiten der Berechnung abhebt. Das ist folglich ein bequemer Weg, den staatlichen und überstaatlichen Institutionen die (vorrangige) Verantwortung anzulasten und wohlfeil über das mangelnde Handeln staatlicher Institutionen zu lamentieren. Das ist das Narrativ, welches die engagierte Wissenschaft unreflektiert seit Dekaden verfolgt. Sie ignoriert damit die Wirkarmut wissenschaftlicher Fakten auf politisches Handeln (im ökologischen Kontext) sowie die individuelle Verantwortung (auch der Wissenschaft). Denn das Budgetdenken birgt die Gefahr, das Individuum gleichsam von seiner CO2-„Schuld“ zu exkulpieren – gefragt sind ja die Macher, welche am großen Rad drehen (sollten). Es kommt die Hybris der Machbarkeit hinzu:
https://www.blognatur.com/majos-blog/machbarkeitswahn-von-der-hybris-des-menschen
Wenn wir (das „Global Subject“ nach Hans-Joachim Schellnhuber, was/wer auch immer dieses Subject sein solle - ist das noch demokratisch zu adressieren?) ein (politisch) gesetztes „Klimaziel“ erreichen, wird es schon nicht ´so schlimm werden….Das Artensterben geht trotzdem weiter.
https://www.blognatur.com/majos-blog/arten-sterben
Jedoch: das eine schließt das andere nicht aus. Wir alle sind Teil der Politik und damit in der Verantwortung uns als zoon politikon für das Gemeinwesen zu engagieren, aber wir sind kein animal rationale, auch als Individuum sind wir empathische, emotionale sowie reflektierte Wesen mit Aussicht auf eine Du-Perspektive unserer Mitwelt gegenüber.
Wer also soll handeln, wenn nicht wir?
https://www.blognatur.com/majos-blog/wer-wenn-nicht-wir
JR