In seiner „fröhlichen Wissenschaft“ beschreibt Nietzsche die „Begierde nach Leiden“:
“Not ist nötig! Daher das Geschrei der Politiker, daher die vielen falschen, erdichteten, übertriebenen “Notstände” aller möglichen Klassen und die blinde Bereitwilligkeit, an sie zu glauben. Diese junge Welt verlangt, von außen her solle — nicht etwa das Glück -, sondern das Unglück kommen oder sichtbar werden; und ihre Phantasie ist schon voraus geschäftig, ein Ungeheuer daraus zu formen, damit sie nachher mit einem Ungeheuer kämpfen könne.” (56.)
Die Lust am Untergang, Apokalypsen begleiten die Menschen seit je her und jede Apokalypse nimmt für sich in Anspruch, die vorherige ungleich zu übertreffen und sich jetzt aber wirklich zu realisieren. Nun, die Menschheit hat noch bislang jede Apokalypse überlebt, doch jede zukünftige wird umso drastischer und umso wahrscheinlicher. Was aber, wenn wir die nächste Apokalypse erneut überleben, denn wie steht´s um die „Klima-Apokalypse“? Die globale Herausforderung besteht darin, das Morgen zwischen individueller Bedürfnismaximierung, einer Belanglosigkeit der Apokalypsen-Fatigue und der sich zuspitzenden ökologischen Krisen zu meistern.
Doch Apokalypse als vorgezogenes Ausscheiden aus dem Leben ist längst Alltagsbanalität:
Alkohol, Adipositas, Anorexie – im Individuellen sind wir gut darin, das vorzeitige Ableben anzusteuern.
Aber auch als Gesellschaft: der „Kollaps der Kulturen“ (J. Diamond) veranschaulicht, wie wir uns im Kollektiv selbst das Wasser abgraben. Ohne einem Geodeterminismus das Wort zu reden, gibt es dafür zahlreiche Beispiele (Polynesier der Osterinsel, die Maya,..) und das Lehr- und Schulbuchbeispiel ist inzwischen die Katastrophe am Aralsee, wo sich mit der Zerstörung der dortigen Ökosystem die Menschen selbst ihrer wirtschaftlichen Grundlage beraubt haben und gleichzeitig ihre Gesundheit geschädigt.
Hinsichtlich des Klimawandels lässt sich das 1,5°-Ziel nicht mehr einhalten; nun mag die globale Erwärmung zukünftig deutlich darüber liegen, die eigentlichen Risiken liegen in der zunehmenden Frequenz und Intensität klimatischer Extremereignisse. Doch wir nennen uns homo sapiens – und in der Tat; wissend sind wir. Auch anpassungsfähig. Die globale Erwärmung wird nicht unser Untergang sein. Die Menschheit ist sehr anpassungsfähig und innovativ. In 200 Jahren wird es technologische Entwicklungen geben, von denen wir heute nicht die geringste Vorstellung haben. Das ist zumindest zu vermuten, wenn wir rückblickend unsere Kulturgeschichte betrachten. Doch was sich nicht aufhalten lässt und was in 200 Jahren in erschreckendem Maße abgenommen haben wird, ist die Vielfalt unserer Mitwelt.
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Nun, wir sind wissend, auch was ökologische Belange angeht; wissend sind wir schon lange aber nicht weise, denn wir sind so wissend wie gleichzeitig unverantwortlich dumm. Es ist kein kognitives Unvermögen, sondern vielmehr eine egozentrische Borniertheit, die sich in einem Beharren auf dem eigenen Standpunkt manifestiert, dem Unvermögen das eigene Leben kreativ neu auf ein Du hin zu konturieren. Dies führt zu einem zweiten Problemfeld, dem der Egozentrik. Diese Ich-Abgrenzung ist frühkindlich wichtig, führt aber später zu einer Erstarrung, die sich dann in einer Trägheit, Apathie und der genannten Dummheit manifestiert. Dies führt folglich zu einem gewissen Unvermögen, das eigene Selbst neu in eine empathie-getragene Beziehung zu unserer Mitwelt zu stellen.
Vom Wissen zur Weisheit, wie kann uns das gelingen?
Die Voraussetzungen liegen in Offenheit, Wahrhaftigkeit, Liebe, Demut und Faszination für die Vielfalt und Einzigartigkeit aller Organismen. Das quantitative Denken in Ressourcen gerät an seine Grenzen, wenn wir Liebe und Zuneigung schenkend unserer Mitwelt begegnen, denn durch das Geben gewinnen wir an Reichtum und verlieren sofern wir die Möglichkeit des Gebens nicht realisieren. Unsere Verantwortung für unsere Mitwelt erwächst aus unserer personalen Endlichkeit und ist gleichzeitig eine wesentliche Grundlage für ein gelingendes, ein gutes Leben.
Freilich dürfen wir nicht naiv sein, Weisheit ist nicht massenkompatibel, daher braucht es eine mutige Legislative, die sich zutraut zu priorisieren. Die Trias der Nachhaltigkeit Wirtschaft – Ökologie – Soziales ist eben nicht gleichrangig zu sehen, das gilt genauso für die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDGs) der Vereinten Nationen. Täglich sterben vor unseren Augen und vielmehr noch unbemerkt von uns, Arten aus. Alle Anstrengung muss darin liegen, dies zu stoppen. Dies muss das Leitziel sein, denn auch wir sind für unsere Wohlergehen auf unsere mannigfaltige Mitwelt angewiesen.
JR