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24 Feb
24Feb

Im Zug nach Hause, noch in die Betrachtung der Bilder vertieft, die ich von der „Ressourcen-Wiese“ mit ihren nachwachsenden Rohstoffen knipste, bekomme ich am Rande mit, wie sich ein junger Mann zum Fahrkartenkontrolleur durchzwängt: „Kann ich seine Strafe übernehmen?“, fragt er, den Hoodie tief ins Gesicht gezogen, und wedelt mit deiner Dose Whisky-Cola vor den Augen des Bahnangestellten rum. Der lacht nur verächtlich auf. „Im Ernst, der kriegt richtig Ärger, wenn das gemeldet wird!“, bekräftigt der Kapuzenjunge. „Das hätte er sich vorher überlegen müssen!“ grollt der Kontrolleur und zieht von dannen.


„Nachwachsende Rohstoffe (Biomasse) sind organische Stoffe, die meist land- und forstwirtschaftlich erzeugte werden wie Holz, Flachs, Raps, Zuckerstoffe und Stärke aus Rüben etc.. Weiterhin fallen darunter Stroh, Gülle, Mist, Restholz, Pflanzenbestandteile und Bioabfälle." heißt es auf dem Bayernportal. Die Wiese am Landsberger Bayertor ist relativ klein, und doch finden sich neben Totholz und diversen Distelstauden, die ich nicht eindeutig bestimmen kann, auch ein Insektenhotel darauf. Ich erlebe Landsberg als eine der engagierteren Gemeinden in Bayern, so schmückt sie sich z.B. seit 2023 mit einer begrünten Bushaltestelle, d.h.: das Dach des Häuschens ist mit insekten- und bienenfreundlichen Gewächsen bepflanzt.


In den letzten Monaten holte mich mehr und mehr Resignation ein, was den Einsatz für den Mitweltschutz betrifft: Zunehmend fühlte ich mich wie in einem 5. Teil von Maja Lundes dystopischem Klima-Quartett. Was nutzt es denn, die Werbetrommel für den Einsatz für unsere Mitwelt zu rühren, wenn die Mitmenschen nur noch mit In-Ear-Kopfhörern rumlaufen? Ich stellte beinahe beiläufig fest, wie sich eine allumfassende Misanthropie in mir ausbreitete. Und wenn es keine Grund mehr gibt, für die Menschen etwas retten zu wollen, wieso sich überhaupt noch engagieren? Der Planet braucht uns nicht, weder zur Rettung noch zum Fortbestehen. Auch mir der drohenden Klimakatastrophe wird sich einmal schütteln und uns wie Parasiten loswerden, um dann, zwar anders, aber fortbestehend, eine neue Atmosphäre mit oder ohne Lebewesen auszubilden.


Innerlich seufzend erhebe ich mich und suche Mr. Hoodie im vollen Zug. Ich habe den Eindruck, dass hier, in diesem Bummelzug, gerade die Weiche für ein junges Leben gestellt wird, dass sich gerade entscheidet, ob ein paar junge Menschen in ihrem Leben sich zu Tätern entwickeln werden, weil niemand an sie glaubt, oder wenigstens die Chance bekommen, eine eigene Definition des „Guten“ zu finden. 

Ich gehe neben seinem Sitz in die Hocke, sie sind als 3er Gang unterwegs, alle haben ihr Whisky-Cola in der Hand und glänzende Augen: „Einer von euch ist grad beim Schwarzfahren erwischt worden, oder?“ Misstrauisch beäugt er mich. „Warum?“ fragt er. „Ich habe es eben am Rande mitbekommen. Fehlt euch das Geld?“ Er schüttelt den Kopf. „Das war eben so mies!“ erklärt er und erzählt mir eine Geschichte von einem nicht funktionierenden Fahrkartenautomat (Ja, ja!), leeren Smartphone-Akkus (ja, ja!) und einem bösen Kontrolleur, der zwei mit der Geschichte durchwinkte und beim dritten mit der Polizei drohte, wenn er nicht seine Personalien rausrückte. „Aber er ist auf Bewährung, wenn das jetzt weitergeht, muss er in den Knast! Der Bahnler meldet das jetzt der Polizei!“ Ich habe keine Ahnung, ob Schwarzfahren tatsächlich die Bewährungsauflagen bricht und ob jedes Schwarzfahren bei der Polizei gemeldet wird, es ist mir auch egal, ich nehme die aufrichtige Verzweiflung und den Argwohn des jungen Manns deutlich wahr. 

Der, um den es geht, schaut mich lächelnd an, er wirkt freundlich und ein wenig naiv. „Was ist, wenn ihr gleich die Strafe zahlt? Passiert dann was?“sage ich und zücke meine Geldbeutel. Vereinsamt tummeln sich drei Zehner und ein Zwanziger darin. „Ich habe 50, die gebe ich euch.“ Die drei jungen Männer staunen mich an. „Das können wir nicht annehmen“, meint Mr. Hoodie. „Doch“, sage ich, „wir waren alle mal jung und haben Mist gebaut. Und, weißt du, ich habe die Erfahrung gemacht, dass, wenn man selber wütend ist, weil man ein Unrecht empfunden hat, eher selber auf andere ungerecht reagiert. Da entsteht eine negative Kette.“ „Ja!“, ruft der junge Mann, „und wir sitzen doch irgendwie alle im selben Kahn!“.


Das ist der Moment, in dem ich erneut an Maja Lunde denke, an „Die Geschichte vom Wasser“.
„Aber dann geben wir Ihnen das Geld zurück, geben Sie mir Ihre Kontonummer?“ setzt er noch dazu und ich schüttele den Kopf. „Ich arbeite schon ein paar Jahre länger als ihr, mir tut das Geld nicht so weh wie euch.“, grinse ich.“Ich bin 21 und arbeite, seit ich 14 bin!“ empört sich der junge Mann belustigt. Ich wende mich direkt an den, um den es schließlich die ganze Zeit geht. Er hat noch kein Wort gesagt außer als er mir seine Hand zum Handschlag hinstreckte und „das ist Wahnsinn, so korrekt“ murmelte. Irgendetwas an ihm rührt mich tief im Inneren an. Ich strecke ihm die Scheine hin. „Versuch mal, ob du den Schaffner noch erwischt und schau, ob du gleich bar zahlen kannst, so dass es nicht weiter gemeldet werden muss.“ Er grinst breit, nimmt das Geld, ich nehme ihm seine Whisky-Dose ab und er wackelt los.
Wir steigen alle am HBF aus, dort treffen wir ihn am Gleis wieder, das Geld hat er noch in der Hand. „Muss überweisen“, murmelt er, „wird dann aber nicht gemeldet!“. „Dann mach´ das mal gleich!“, sage ich ihm und marschiere von dannen. „Das ist ein Engel gewesen“ höre ich noch Mr. Hoodie hinter mir, und ich denke an das Büchlein mit Paul Klees Engelszeichnungen in meiner Tasche, die an die Transformation von Irdischem zu Transzendentalem erinnern, mit all dem Leid und all der Pein, die das bedeutet. „Zweifelnder Engel“ und „Engel, noch hässlich“ sind mir die liebsten.
Ist sich der Planet bewusst, dass sich seine Menschen auslöschen? Nimmt er ihre Ignoranz wahr, spürt er ihre Angst? Braucht es immer erst einen Mangel, aus dem heraus Gutes entstehen kann?


MF

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