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04 Jan
04Jan

„Ich sollte das Vergangne schlummern lassen. Aber ich weis nicht warum? Das Bild des Ionischen Mädchens verfolgt mich jetzt öfter wie je. Ich wollte dir gerne von etwas andrem schreiben, aber ich habe nichts in der Seele als die Tage die dahin sind“. 

Der von Hölderlin im Hyperion mit Wehmut beklagte Verlust von Anmut geht längst über das Zwischenmenschliche hinaus zu unserer nichtmenschlichen Mitwelt. 


2020 betrug beispielsweise der Verlust an tropischem Regenwald > 40 000 km² (Global Forest Watch). Vielfach beklagen wir dies mit sehr guten Gründen, sollten aber nicht vernachlässigen, dass wir vor der eigenen Haustür täglich viele km² Boden zerstören und zum Großteil versiegeln:

 https://www.blognatur.com/majos-blog/bodenlos 

https://www.blognatur.com/majos-blog/fl%C3%A4chenversiegelung 

Der Verlust einer heimatlichen Landschaft, die Veränderung und Zerstörung von liebgewonnenen oder zum Lebenserhalt notwendigen Landschaften kann zu einer Verlusterfahrung führen, die negative gesundheitliche Folgen haben kann. 

Glenn Albrecht prägte 2005 den Begriff der Solastalgie um zu beschreiben, wie positiv empfundene Ortsbindungen verloren gehen. Diese Wortneuschöpfung ist aus dem lateinischen solacium („Trost“) und dem altgriechischen algos („Schmerz, Leiden“) zusammengesetzt. 

Solastalgie kann durch viele Ursachen ausgelöst werden: Landschaftsänderungen durch Bergbau, Desertifikation in Trockengebieten, Zerstörungen durch Naturkatastrophen, Flächenversiegelung oder durch floristisch und faunistisch entleerte Energielandschaften, die einen neuen stummen Frühling gleichsam inaugurieren. 


Dieses zunächst positive Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Ort (oder einer Landschaft) führt in der Verlusterfahrung, wenn dieser Ort „zerstört“ wurde, zu einem Gefühl des Leidens. Dieses Mitleiden mit einer Landschaft kann sich auch auf entfernte Regionen beziehen, die uns visuell über neue Medien zugänglich sind, daher bleibt das Konzept nicht auf das direkte Erleben und die eigentliche Heimat beschränkt. 

Solastalgie wird auch zu den negativen Auswirkungen des anthropogen verstärkten Treibhauseffektes auf die psychische Gesundheit gezählt, da sich viele Räume aktuell stark verändern und durch eine Zunahme von klimatischen Extremereignissen ihre agrarische Tragfähigkeit verlieren. Denn agrarisch geprägte Gesellschaften sind sehr viel stärker von Solastalgie betroffen, wenn der Raum, der eigentlich lebensnotwenige Ressourcen zur Verfügung stellt, dies nicht mehr vermag. 

Das Konzept der Solastalgie ist ein weiterer Baustein, der unsere Zugehörigkeit zur uns umgebenden Mitwelt aufzeigt und verdeutlicht, dass wir uns letztlich selbst Schaden zufügen, wenn wir sorglos unsere Mitwelt schädigen und gar zerstören. Die Sorge um unsere Mitwelt bezieht sich eben nicht nur auf „emblematische Arten“ (Orang-Utan, Pandabär,..), die als Sympathieträger für Naturschutzmaßnahmen herhalten, sondern auch auf Räume, Landschaften, die auch die unbelebte Welt umfassen und dann im Sinne einer land ethics als Schutzgüter neu entdeckt werden.

JR

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