Aktuell wird diskutiert, Atomkraft in der Taxonomie-Verordnung der EU als „nachhaltig“ einzustufen. Vielen, insbesondere in Deutschland, erscheint der Gedanke Atomkraft und Nachhaltigkeit in einem Atemzug zu nennen, geradezu absurd. Eine Vorreiterrolle Deutschlands, ein Vorbild gar in Sachen Energiewende, mag erstrebenswert sein. Doch dies darf nicht in ein „Am deutschen Wesen mag die Welt genesen“ einmünden. Denn dass andere Nationen die Atomkraft anders sehen und bewerten, sollte zum Nachdenken anregen.
Atomkraft ist umweltschädlich und birgt Risiken, die trotz geringer Eintrittswahrscheinlichkeit hohe Schäden verursachen können. Bezogen auf die CO2-Emissionen pro produzierte Kilowattstunde Strom wird Atomstrom jedoch als klimaschonend angesehen.
Aber ist diese Technologie damit schon „nachhaltig“? Sicherlich nicht, mit nachhaltig ist hier eher eine relativ CO2- arme „Brückentechnologie“ gemeint, die Teil einer Gesamtstrategie zu einer regenerativen Zukunft ist, selbst aber nicht das Etikett „nachhaltig“ verdient. Verglichen mit Gas als Brückentechnologie schneidet Atomkraft in der CO2-Bilanz deutlich besser ab.
Doch was gilt heute nicht alles als „nachhaltig“?
Der Begriff bezieht sich zunächst auf eine Ressourcen-Nutzung eines Systems ohne dass dieses Schaden nimmt. Die Nutzung von Ressourcen darf dabei nur in dem Rahmen erfolgen, den das System dauerhaft aushalten bzw. regenerieren kann. Aus dem ursprünglich forstlichen Kontext bedeutet es dann, dass nur so viel Holz in einem Wald geschlagen werden darf, wie nachwächst.
Im sog. Brundtland-Bericht von 1987 wurde dann die klassische Definition formuliert: „Dauerhafte Entwicklung ist Entwicklung, die die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne zu riskieren, daß künftige Generationen ihre Bedürfnisse nicht befriedigen können“.
Zukunftsabsicherung ist ein schöner Gedanke, der viel Interpretationsspielraum lässt. Ökonomisch trägt hier das Konzept der Zeitpräferenz bei, wenn ich die Wahl habe ein Gut heute oder in Zukunft zu erwerben, bevorzuge ich in der Regel den jetzigen Zeitpunkt. Zeitpräferenz ist Gegenwartspräferenz, wir leben ja im hier und jetzt. Doch was heißt das für die Generationengerechtigkeit? In Erwartung weiteren Wirtschaftswachstums werden zukünftige Generationen bessergestellt sein als die heutige. Das führt dann zur Frage der Diskontierung zukünftiger Nutzen, dann dadurch könnte ökonomisch wieder ein höherer Ressourcenverbrauch heute gerechtfertigt werden.
In dem drei Säulen-Modell der Nachhaltigkeit stehen Ökologie, Ökonomie und Soziales gleichberechtigt nebeneinander. An diesem Modell gibt es auch berechtigte Kritik und es setzt eine stabile politische Lage voraus. Und müsste nicht Ökologie die Vorrangstellung in dieser Trias haben?
Inzwischen findet der Begriff „Nachhaltigkeit“ jedoch so vielfach Verwendung, dass er zum unscharfen Gummiwort geworden ist. Unternehmen haben Nachhaltigkeitsberichte, es gibt eine Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie, nachhaltige Finanzanlagen, nachhaltige Entwicklung, nachhaltige Verpackung, nachhaltiges Reisen usw..
Nachhaltigkeit ist schick, so wie „Bio“ oder „Öko“, jetzt gilt es aber zu zeigen, was konkret damit gemeint ist, denn Zielkonflikte gibt es auf Nachhaltigkeitspfaden ebenso wie unter „Bio“ und „Öko“ Etiketten und die positive Aufladung der Begriffe kollidiert oft, wenn die Konsequenzen daraus das eigene Handeln betreffen. Eine ehrliche Daseinsinterpretation muss Rechenschaft über das eigene Handeln ablegen.
Was konkret bedeutet Nachhaltigkeit in deinem Leben? Und wie lässt sich diese biographieintegrativ leben?
JR