Seit geraumer Zeit werfen engagierte WissenschaftlerInnen der Politik unzureichendes Handeln hinsichtlich des Schutzes des Weltklimas vor. Aktuell geschieht dies, um die Klimaverhandlungen voranzutreiben. Doch die UN-Klimakonferenz in Glasgow ist nicht die erste und wird nicht die letzte sein. Die Ergebnisse werden allem Anschein nach nicht genügen, um den anthropogen verstärken Treibhauseffekt effektiv zu mindern. Obwohl das Wissen um die Dringlichkeit, global einen effektiven Klima-, Arten- und Naturschutz durchzusetzen, seit Jahrzehnten vorhanden ist.
Daher könnte es sich erweisen, dass die von der Wissenschaft vorgelegten Fakten kaum eine Wirkmächtigkeit in Politik und Öffentlichkeit erreichen. Denn „widerlegt wurde die erste Generation der „Besorgten Wissenschaftler“ und Kassandras an einem ganz anderen Punkt (nicht an den Fakten). Sie unterbreiteten nämlich der Öffentlichkeit ihre Befunde in dem guten, unter Naturwissenschaftlern häufig anzutreffenden naiven Glauben, daß solche Aufklärung die Regierenden in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft veranlassen würde, das Richtige zu unternehmen“ (Amery 1987 „Ist Kassandra verstummt?“). Nach über 30 Jahren hat dieser Befund nicht an Aktualität eingebüßt, was die Frage aufwirft, warum die „besorgten Wissenschaftler“ so unerbittlich an der Vorstellung festhalten, Politik würde anders handeln, wenn ihr Fakten und noch mehr und noch drastischere Fakten präsentiert werden. Dass Politik unmittelbar auf wissenschaftliche Erkenntnisse reagieren kann zeigt die COVID-19 Pandemie und es zeigt sich in den Risiken der Atomkraft. Bei beidem greift eine „Heuristik der Furcht“ (Hans Jonas), weil hier unmittelbar Menschen auch emotional in ihrer Lebenswirklichkeit betroffen sind. Im ökologischen Diskurs ist dies jedoch anders; Kurven ansteigender Treibhausgaskonzentrationen oder Listen bedrohter Arten erfassen Menschen nicht affektiv und emotional existenziell in ihrem unmittelbaren In-der-Welt-Sein.
Hinzu kommt dass Ratschläge der Wissenschaft, um die keiner gebeten hat, allenfalls freundlich zu Kenntnis genommen werden und dem Ratgeber das Gefühl für das Gute einzutreten vermitteln; doch Kritik an gesellschaftlichen, wirtschaftlichen oder politischen Verhältnissen fällt in liberalen Verhältnissen leicht, es kommt einer Form von „Gratismut“ (H.M. Enzensberger) gleich, sie kostet nichts und bringt zusätzliche „Publizitätsprämien“ ein (H. Lübbe). Einem systemimmanten (durchaus auch logischen) Narzissmus mag dies Vorschub leisten.
Doch auch Wissenschaft kann einen erheblichen Beitrag leisten, die Umweltkrise zu entschärfen. Daher gehört es auch zur Verantwortung der besorgten Wissenschaft, den eigenen Beitrag zur ökologischen Krise kritisch zu reflektieren; ein Teil der Lösung könnte auch in einem veränderten Verhalten und in veränderten Naturzugängen der Wissenschaft liegen. Denn auch die Klimaforschung hat einen Anteil daran, dass sie „schädigt“, was sie erforscht: das Klimasystem: Der Energieverbrauch von Großrechenanlagen, studentische Exkursionen als Flugreisen in entfernte Kontinente, mannigfaltige Forschungsschwerpunkte in ebensolchen Regionen sowie die Teilnahme an Tagungen und Kongressen, gerne auch in exotischen Destinationen. So können Arsenault et al. (2019) am Beispiel der Universität Montreal aufzeigen, dass die dortigen Professoren durch ihre Reisetätigkeiten durchschnittlich pro Person und Jahr 10,76 T CO2 und 2,19 kg N freisetzen. Diese Reisedistanzen liegen dabei um das Vierfache über dem Durchschnitt der arbeits- und forschungsbedingten Reisetätigkeiten der übrigen Universitätsmitarbeiter. Ein Teil der dabei entstehenden Umweltkosten mag man als den Sachzwängen der Forschung geschuldet sehen aber das verringert den Ressourcenverbrauch überhaupt nicht.
Askese predigen und selbst Verschwendung feiern – passt das zusammen? Oder ist das Ausdruck eines neuen Pharisäertums? Experten, die das, was sie von anderen einfordern, gewinnen an Glaubwürdigkeit und Einfluss, wenn sie dies auch in einem nachhaltigen Verhalten selbst leben. Oder gilt nach Max Scheler: Ein Wegweiser geht auch nicht in die Richtung, in die er zeigt?
Wissenschaftliches Wissen ist gesellschaftsrelevant und daher gilt es zu hinterfragen, inwiefern sich diese Bedeutung auch im individuellen Lebensstil eines Wissenschaftlers abbildet. Maßhalten lässt sich bestens durch einen umwelttugendethischen Ansatz rahmen, denn Authentizität ist dann nicht nach außen gerichtet und bedarf keiner Pressetermine.
JR