In der Psychologie werden vier unterschiedliche Bindungstypen unterschieden, die sich aus unseren ersten Beziehungserfahrungen (meist im systemischen Kontext der Herkunftsfamilie) ergeben. Diese Bindungsmuster sind quasi die Blaupause für unser weitere Beziehungsgestaltung. Sie manifestieren sich in Empfindungen und Gefühlen innerhalb von Beziehungen jeder Art: wie geborgen, sicher und verlässlich Bindungen erlebt werden. Sichere Bindungserfahrungen manifestieren sich auch in einer hohen Ambivalenztoleranz: Wir können emotionale Nähe aufrechterhalten TROTZ Konflikten, Unstimmigkeiten, Imperfektionen.
Die Beschreibung der unterschiedlichen Bindungsmuster geht auf die Forschergruppen um Mary Ainsworth und in der Folge Judith Solomon zurück: Im „Strange Situation Test“ lassen sich die Verhaltensweisen von (Klein-)Kindern, die einige Minuten ohne ihre Bezugspersonen in einer für sie neuartigen Umgebung auskommen sollen, vier verschiedenen Gruppen zuordnen, namentlich sicher, unsicher-ambivalent, unsicher-vermeidend und desorganisertem Bindungsverhalten.
Dieses Verhalten geht auf grundlegende Erfahrungen von Beziehungen als stabil und vorhersehbar oder eben unsicher, unzuverlässig oder gar bedrohlich zurück. Die Auswirkungen sind deshalb so weitreichend, weil wir als menschliche Säugetiere unbedingt auf Beziehungen angewiesen sind: Allein auf uns gestellt, sind wir nicht überlebensfähig. So werden inkohärente, diskontinuierliche Bindungserlebnisse in der Kindheit als existentielle Bedrohung erlebt.
Insbesondere unsicher-vermeidend gebundene Kinder, die als Erwachsene einen als distanziert beschriebenen Bindungsstil entwickeln, haben nicht die Erfahrung gemacht, in Beziehungen Halt zu finden. Sie erleben Partnerschaften gleich welcher Couleur nicht als unterstützend und entlastend sondern vielmehr als zusätzliche Aufgabe, Verpflichtung – als Arbeit. „Allein bin ich besser dran“ ist ein beliebter Glaubenssatz, wenngleich dysfunktionale, von distanziert gebundenen Personen. Und so schotten sich distanziert gebundene Menschen oft von anderen ab, während ambivalent gebundene sich eher verzweifelt an Beziehungen festklammern.
Und doch lebt auch in dem größten Einzelgänger das verängstigte, einsame Kind weiter: Und das will gehört werden, das braucht Trost. Doch wie soll es diesen Trost erfahren, wenn sich die Person von anderen abwandte und nur noch verhalten in Beziehungen geht?
Nach Martin Buber, dem jüdischen Existentialisten, brauchen wir unbedingt ein Gegenüber, um ein Bewusstsein unserer Selbst zu entwickeln. „Das Ich wird am Du“ ist einer seiner bekanntesten Aussagen. Ein „Du“ kann uns nun jeder Mensch sein – aber auch jedes andere Lebewesen. Teil der Lebenswelt, um nicht zu sagen: die Voraussetzung für unsere Lebenswelt, ihre Entsprechung gar, ist nun die Natur: Jeder Baum, jeder Fluss, jede Pflanze trägt die Qualität eines „Du“ in sich. Und dieses Du ist immer zugänglich, so distanziert und entfernt jemand auch von menschlichen Bezügen sein mag.
Wenn also ein Mensch, der aus seinen als Kind enttäuschten Bindungsbedürfnissen heraus eher ein starkes Autonomie- und Autarkiebedürfnis lebt, nun im Naturerleben die Erfahrung der Geborgenheit, Sicherheit, des Wohlwollens machen kann, kann er in diesem ersten Schritt seine dysfunktionalen Bindungsvergangenheit auflösen. Er kann so sein „inneres Kind“ dahin begleiten, sich doch wieder im Vertrauen auf andere Menschen zu versuchen. So kann mehr und mehr der Ausschöpfung des ganzen uns innewohnenden Potentials gewagt werden: Denn wer können wir sein, wenn wir es uns erlauben, nach unserer menschlichen Natur des Miteinanders mit allem Lebendigen zu leben?
MF